
„Schau mal seinen Blick! Der weiß ganz genau, dass er das nicht durfte!“ – Kommt dir das bekannt vor?
In diesem Blogartikel erkläre ich dir, warum Schimpfen mit deinem Hund nichts bringt, was hinter dem schuldigen Blick wirklich steckt – und warum Agieren dich im Training viel weiter bringt als Reagieren.
Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen und Umsetzen der Alltagsbeispiele! 🚨🧯🔥
„Manchmal muss ich halt schimpfen – mein Hund ist ja nicht immer nur lieb!“
Diesen Satz höre ich ganz oft im Training. Und ich kann das total verstehen.
Der Hund macht etwas, was er nicht soll. Der Mensch wird böse und reagiert mit Schimpfen – und zack: man sieht einen bedröppelten Vierbeiner, der sich duckt, seinen Blick senkt und sich über die Schnauze leckt.
Ganz schnell wird aus dieser Reaktion der „Beweis“ dafür, dass der Hund ganz genau wusste, dass er das nicht durfte.
Aber warum ist das ein Trugschluss?

Was wir da sehen, ist kein Schuldeingeständnis des Hundes, sondern eine Beschwichtigungsantwort auf die Körpersprache des Menschen. Es handelt sich also um ein Missverständnis, das auf eine vermenschlichte Interpretation beruht.
Eine laute oder tiefe Stimme, schnelles Vorbeugen, angespannte Mimik, harter Blick, eventuell sogar ein Griff ins Fell, ein Kniff oder Schubser – das alles wirkt auf Hunde äußerst bedrohlich.
Hunde können auf Bedrohung mit Gegenwehr und Aggression reagieren, wenn sie gelernt haben, dass Deeskalation, Beschwichtigung und Flucht nichts bringen und sie weiterhin bedroht werden. Gerade gegenüber ihrer Bindungsperson zeigen viele Hunde sehr lange Beschwichtigung und Deeskalation, bevor ihr Notfallprogramm zum „Fight“-Modus greift. Diesen Switch machen Hunde nicht bewusst und auch nicht, weil sie Bock auf Krawall haben.
Es ist ein Verteidigungsmodus, der bei Gefahr und Bedrohung im Gehirn aktiviert wird. (Informationen zum Fight-Modus und den anderen drei F’s findest du in diesem Artikel.)
Die korrekte Übersetzung von Beschwichtigung ist „Bitte tu mir nichts!“ und keinesfalls „Ich sehe ein, dass ich was Falsches gemacht habe.“ Hunde können uns sehr gut lesen und erkennen die kleinsten Vorboten, die ihnen sagen, dass es ungemütlich wird. (siehe hierzu unten die Info1)
Möchtest du wirklich, dass dein Hund dir gegenüber Beschwichtigung zeigen muss? Dass er dir sagt „Bitte tu mir nichts!“?
„Mein Hund muss lernen, was er nicht darf!“
Wir wissen heutzutage, dass Fehler für ein nachhaltiges Lernen nicht notwendig sind. Ja, es stimmt: Wir, und auch unsere Hunde, können durch Fehler lernen. Und es ist wichtig, Fehler nicht als etwas Schlimmes zu betrachten. Fehler sind Informationen und Wegweiser, um es in der Zukunft besser zu machen. Das bedeutet aber nicht, dass wir Fehler extra ins Training einbauen müssen, damit Hunde lernen, was das Richtige ist.
Das Konzept des „fehlerfreien Lernens“ (Errorless Learning) aus der Psychologie basiert auf dieser Erkenntnis. Wir lassen Hunde nicht in Fehler laufen, um sie danach zu korrigieren. Wir gestalten die Lernumgebung und Trainingsschritte so, dass es ihnen leichtfällt, das erwünschte Verhalten zu zeigen. Dies verstärken wir positiv, wodurch es gefestigt und zuverlässig etabliert wird.
Anstatt Stress und Frustration schaffen wir somit eine Basis für Motivation, Freude und Vertrauen – was für den Aufbau einer guten und sicheren Bindung essenziell ist. (Erfahre hier mehr über die verschiedenen Bindungstypen und warum die sichere Bindungsform so wichtig ist.)
Damit Lernen stattfinden kann, ist es also absolut nicht notwendig, die Erfahrung zu machen, dass Verhalten A falsch ist.
Wenn Hunde so begleitet werden, dass Verhalten A gar nicht möglich ist und sie für B konsequent positive Verstärkung erfahren, werden sie von sich aus Option B wählen.
Verstärkung bedeutet, dass mit einer gezielten und passenden Belohnung das Verhalten B zukünftig
- häufiger
- intensiver
- schneller
- und gefestigter
auftreten wird.
Nicht jede Belohnung ist eine Verstärkung für Verhalten. Dies wird oft außer Acht gelassen, wenn behauptet wird, dass der positive Weg nicht funktioniert.
Positive Verstärkung funktioniert per Definition. Wenn du das Gefühl hast, dass positive Verstärkung bei euch nicht funktioniert, lohnt es sich, nochmal gemeinsam genauer hinzuschauen: Wurde wirklich verstärkt oder vielleicht nur belohnt?

Was ist die Alternative zum Schimpfen? Was kannst du gezielt tun?
Beim Schimpfen reagierst du – setze stattdessen besser früher an und agiere.
Vor jedem unerwünschten Verhalten sehen wir erwünschtes Verhalten. Wenn du dies verstärkst, dafür an deinem Timing arbeitest und lernst, die Körpersprache deines Hundes zu lesen, wird er gar nicht erst in das unerwünschte Verhalten reinrutschen.
Ja, bedürfnisorientiertes Training erfordert ein wenig Einsatz. Es ist anspruchsvoller als Schimpfen, Leinenruck, Kneifen & Co. Aber dein Hund hat einen fairen Umgang verdient.
Lass uns hier mal zwei häufige und gängige Situationen aus dem Alltag anschauen:
1. Dein Hund läuft ins Gebüsch
Anstatt zu schimpfen, setzen wir in unserem Training positiv aufgebaute Unterbrechungssignale ein, wie z.B. den Hand-Touch, einen U-Turn oder den Rückruf. Diese Signale sind jedoch nur ein kleiner Teil des Trainings. Hauptsächlich zielen unsere Übungen darauf ab, Verhalten erst gar nicht unterbrechen zu müssen.
Statt zu warten, bis dein Hund vom Weg abkommt und du reagieren musst, lobe ihn gezielt und verstärke das Auf-dem-Weg-bleiben und seine Orientierung zu dir. Leckerli fangen, belauern oder suchen; Verlorensuche auf der Rückspur oder das Abfragen der Lieblingstricks passieren AUF dem Weg und festigen somit von Anfang an das erwünschte Verhalten.
Indem du deinem Hund zeigst, dass es sich lohnt, auf dem Weg und in deiner Nähe zu bleiben, agierst du proaktiv. Und genau darum geht es in unserem Training: dein Hund soll lernen, was richtig ist, dabei Freude empfinden und eine positive Verknüpfung mit dir als seinen Sozialpartner erleben.
Das „Auf-dem-Weg-bleiben-Training“ wird somit zu einem wichtigen Puzzlestück in deinem Rückruf- und Radiustraining. Würdest du ständig Unterbrechungs- oder Rückruf-Signale einsetzen, sobald dein Hund Richtung Unterholz läuft, würden sie sich mit der Zeit abnutzen und es käme außerdem zu ungewollten Verhaltensketten. Dein Hund würde lernen: „Erst laufe ich vom Weg ab, damit mein Mensch mich ruft, dann laufe ich zurück und bekomme meine Belohnung.“
2. Euer Spiel wird zu wild
Wenn das Spiel mit deinem Hund zu intensiv wird, erkennst du oft schon früh die ersten Anzeichen, dass er aufdreht (hektische Bewegungen, stärkere Körperspannung, Einsatz der Zähne). Fahre das Spiel frühzeitig und schrittweise runter, sodass ruhigere Interaktionen wieder möglich sind.
Das berühmte „So, jetzt ist aber Schluss!“ ist besonders für Hunde mit viel Dampf sehr schwer zu händeln. Sie haben keinen Knopf, mit dem man ihren Turbo von jetzt auf gleich ausschalten kann. Sie brauchen Hilfe, um von 180 auf 0 runterzukommen. Die vom Körper bereitgestellte Energie muss irgendwo hin – und dann lieber in das kontrollierte Runterfahren als in eine unkontrollierte Frust-Reaktion.
Mit so einem Bremsweg handelst du proaktiv – anstatt zu warten, bis dein Hund seine Zähne unsanft einsetzt und du dann schimpfen und ihn wegschubsen musst.
Kennst du das Gefühl, wenn du aus der Wut heraus reagierst und es dir im Nachhinein leidtut?

1. Zuerst einmal: Beobachte
- Atme tief durch, bleib ruhig und beobachte die Situation. Was war vor dem Fehlverhalten? Welche direkten Auslöser lagen vor? Warum springt dein Hund? Warum bellt er? Warum wird er grob im Spiel? Dies sind wertvolle Erkenntnisse für mögliches Management und erste Trainingsschritte.
2. Dann: Leite das Verhalten um
- Verhalten, das wir nicht möchten, ist oft ein Zeichen dafür, dass der Hund etwas anderes braucht (Distanz, Sicherheit, Co-Regulation, kontrolliertes Runterfahren, Ruhe – oder aber auch mehr Action, Beschäftigung, soziale Interaktion, etc.)
3. Und vor allem: arbeite mit positiven Emotionen
- Lernen funktioniert am besten, wenn dein Hund sich sicher fühlt und Freude empfindet.
Möchtest du wissen, wie du mit deinem Hund so trainierst, dass es euch im Alltag wirklich weiterbringt – ohne schimpfen zu müssen?
Lass uns gemeinsam schauen, was ihr braucht und wo wir ansetzen können!
🔎 Info: 1 Der schuldbewusste Blick
“Disambiguating the ‘guilty look’: Salient prompts to a familiar dog behaviour”
(Alexandra Horowitz in Behavioural Processes Volume 81, Issue 3, July 2009, Pages 447-452)
In dieser Studie ließen Forschende die Hunde allein mit verbotenem Futter. Die Bezugspersonen wurden dann falsch oder korrekt informiert, ob der Hund es gefressen hatte. In manchen Fällen hatte der Hund das Essen gar nicht angerührt, wurde aber trotzdem ausgeschimpft.
Das Ergebnis:
Der „schuldbewusste“ Gesichtsausdruck entsteht nicht durch ein Schuldbewusstsein des Hundes, sondern ist eine Reaktion auf menschliche Körpersprache, Tonfall und Verhalten.