„Ins Gespräch gehen“ – oder: Wie viele beschönigende Begriffe braucht ein veraltetes Trainingsmodell eigentlich noch?

Veröffentlicht am 30. April 2025 um 16:49

Ins Gespräch gehen mit deinem Hund: hinterfrage diese Methode lieber!

Im bedürfnisorientierten Training gehen wir mit Hunden nicht ins Gespräch.

Warum nicht?

Sind wir etwa unhöflich? Reden wir nicht gern mit Hunden oder fehlt uns der Sinn für interspezifische Kommunikation?

Im Gegenteil.

Wir haben nur eine andere Vorstellung davon, was faire, respektvolle Kommunikation wirklich bedeutet.

Die Aufforderung „Du musst mit deinem Hund ins Gespräch gehen“ taucht immer häufiger im Hundetraining auf. Was erstmal freundlich, sozial und harmlos klingt, entpuppt sich jedoch als Euphemismus und soll körpersprachliches Bedrängen, Einschüchtern und psychischen Druck beschönigen.

Strafbasierte Trainer nutzen diesen Begriff, um ihre Methoden zu verharmlosen und somit leichter zu verkaufen. Der Mensch baut sich frontal vor dem Hund auf, blockiert seinen Weg, dringt in seine Individualdistanz ein – alles Strategien, die auf Verunsicherung statt auf Vertrauen zielen.

Ein Gespräch ist ein Austausch auf Augenhöhe. Im echten Dialog hört man einander zu. Ein Hund hat aber keine Chance, sich gegen diese Art von „Gespräch“ zu wehren, ohne Konsequenzen zu fürchten.

Das Ergebnis ist Stress, Unsicherheit, Übersprungverhalten und ein nachhaltiger Vertrauensverlust.

 

Vielleicht denkst du, dass dieses Blocken und Drängen harmlos ist? Dass es keine Gewalt ist? Beobachte sensible Hunde, wie sie reagieren und du wirst sehen: Es ist nicht harmlos. Ihre Blicke sprechen Bände. Diese kurzen Momente, in denen sie ihre Menschen ansehen – irritiert, überrascht und mit Enttäuschung in ihren Augen: „Was tust du da? Warum machst du das mit mir?“

Und ich frage mich jedes Mal: Wie können Menschen das nicht sehen?
Weil sie auf „Experten“ hören? Weil sie überfordert sind und in ihrer Verzweiflung nach Hilfe suchen? Weil sie die Körpersprache ihres Hundes nicht verstehen? Oder weil wir mehr und mehr in autoritäre und machtzentrierte Gesellschaftsmuster hineingleiten, fast unbemerkt, aber spürbar?

Die sensiblen Hunde werden dadurch so gehemmt, dass sie überangepasst sind und kaum noch Verhalten zeigen, was dann fälschlich als „brav“ interpretiert wird. Dabei haben sie einfach nur aufgegeben.

Robustere Hunde wehren sich gegen das Bedrängen. Bei ihnen funktioniert Einschüchterung nicht so einfach. Dann kommt das Etikett „dominant“. Und mit „dominanten“ Hunden darf man ja bekanntlich härter umgehen. Diese Denke ist leider immer noch weit verbreitet. Sogar in manchen Tierarztpraxen oder Tierheimen werden Hundemenschen mit solchen Tipps verunsichert: „Der denkt, er wäre ein kleiner Prinz. Du musst dich mal richtig durchsetzen und darfst ihn nicht so verwöhnen!“

Wenn du solche Ratschläge bekommst, heißt das nicht automatisch, dass sie verhaltensbiologisch fundiert sind. Im Studium der Veterinärmedizin oder in der Tierpflege-Ausbildung nimmt das Thema Hundeverhalten bisher nur wenig Raum ein.

Das liegt nicht an mangelnder Kompetenz, sondern an den Lehrplänen. Tierärzt/innen und Tierheimmitarbeitende leisten großartige, anspruchsvolle Arbeit, aber sie sind nicht automatisch Fachleute für Verhaltensbiologie, Lerntheorie und Hundepsychologie. Manche haben sich auf diesen Gebieten weitergebildet und bringen wertvolles Zusatzwissen mit – doch das ist die Ausnahme, nicht die Regel.

Deshalb darfst und solltest du auch ihre Tipps zum Verhalten deines Hundes freundlich und kritisch hinterfragen. Denn es ist nicht fair, mit deinem Hund „ins Gespräch zu gehen“, wenn es dabei gar nicht um einen echten Dialog geht, sondern um Machtausübung.


Wenn Körpersprache und Bedürfnisse übergangen werden und Verhalten unterdrückt wird – dann ist das kein Gespräch, sondern ein Monolog mit Druck.


Du fragst dich vielleicht, warum ich auf meinem Blog so oft diese Themen aufgreife.

Weil ich selbst schlechte Erfahrungen gemacht habe. Und ich möchte, dass du besser vorbereitet bist, als ich es war. Man sagt „Wissen schützt Tiere“ – aber es schützt auch ihre Menschen.

Nala im Shelter  in Bosnien
Nala mit ihren Welpen

Nala 2015 – im Shelter in Bosnien, wo sie endlich sicher war und in Ruhe ihre Welpen zur Welt bringen durfte. Das Leben auf der Straße war hart.

Und man rettet doch keinen Hund, um ihn später unter dem Deckmantel von „Training“ leiden zu lassen?

Solche Gedanken haben mich damals sehr beschäftigt…

Vor etwa zehn Jahren war ich mit meiner Hündin Nala – damals zwei Jahre alt und frisch aus einem bosnischen Shelter zu uns gekommen – bei einem Trainer. Nur eine einzige Stunde. Aber diese eine Stunde hat gereicht: Ich war schockiert, verstört und tief enttäuscht.

Nirgendwo auf der Website war zu lesen, mit welchen Methoden wirklich gearbeitet wird. Kein Wort davon, dass dieser Trainer seine „Ausbildung“ bei einem sehr bekannten, mexikanischen Trainer in den USA gemacht hatte. Kein Hinweis darauf, dass nur mit Halsband „trainiert“ werden darf. Nichts davon, dass er nicht davor zurückschreckt, Hunden körperlich weh zu tun.

Besonders verstörend war für mich, wie sehr das alles sprachlich verpackt wurde: Auch dieser Trainer sagte uns, unsere Hündin fände es „toll“, wenn am Halsband geruckt wird, weil sie so angeblich klare, verständliche Anweisungen von ihren Menschen erhalte. Als wäre das Rucken keine Strafe, sondern eine Art liebevolle Kommunikation.

Ich habe damals erlebt, wie gezielt eine bestimmte Gruppendynamik erzeugt und genutzt wurde. Nicht nur die Hunde wurden von diesem Trainer eingeschüchtert – auch Menschen gerieten unter Druck, wollten dazugehören, nicht auffallen, alles richtig machen. Kritik war kaum möglich, Zweifel wurden als Schwäche dargestellt.

Damals lebten wir in der Nähe von Utrecht, einer größeren Stadt in einem sehr fortschrittlichen, westeuropäischen Land. Und trotzdem musste ich lange suchen, bis ich eine positiv arbeitende Trainerin fand. Jemand, der nicht nur gewaltfrei arbeitet, sondern auch Erfahrung mit sensiblen Tierschutzhunden hatte.

Sie half mir, Nalas Körpersprache zu lesen und zeigte mir, wie man den Clicker einsetzt. Ich wusste damals noch nicht, dass das, was wir da an Pferden und knatternden Mofas trainierten, LAT - Look at That genannt wurde. Auch Begriffe wie Desensibilisierung oder Gegenkonditionierung kannte ich damals noch nicht, aber ich spürte intuitiv: Das war der richtige Weg für uns. Ein Weg, der zu Nala passte. Und zu mir. Wir machten schnell Fortschritte, und vor allem: Wir hatten Freude dabei.

Hundetraining ist kein geschützter Beruf. Google-Bewertungen spiegeln oft das erste Gespräch oder den schönen Hundeplatz wider, nicht das, was später auf dem Platz wirklich passiert. Und wer schlechte Erfahrungen macht, schreibt selten darüber. Zu groß ist der Schock. Zu tief die Enttäuschung. Menschen schließen emotional damit ab und wollen es hinter sich lassen.

Solche Erfahrungen hinterlassen Spuren. Und sie sind vermeidbar.

Mein Anliegen ist, dass du und dein Hund so etwas nicht erleben müsst. Deshalb schreibe ich. Deshalb kläre ich auf. Deshalb bleibe ich bei diesem Thema dran.

Und jetzt weißt du auch, warum ich Hundetrainerin geworden bin. 🐾

Niemand kennt deinen Hund so gut wie du.

Niemand kann seine Interessen besser vertreten.

Du bist seine Stimme, sein Schutzraum, sein sicherer Hafen.


🔎 INFO: Sprachliche Deutungsrahmen (auch sprachliches Framing genannt)

Du interessierst dich für bedürfnisorientiertes Hundetraining und spürst, dass es dabei um mehr geht als um Methoden. Es spiegelt eine Einstellung und innere Haltung zum Umgang mit Macht, Kontrolle und Empathie gegenüber einem Lebewesen, das von uns abhängig ist und sich nicht entziehen kann.

Aber wie kannst du erkennen, welche Haltung hinter schönen Worten steckt? Das Bewusstsein, dass Sprache sehr manipulierend eingesetzt werden kann, hilft dir bereits, aufmerksamer damit umzugehen und Dinge zu hinterfragen.

Warum gerade im Hundetraining verharmlosende Sprachmuster so schwer zu erkennen sind:

Sie wirken im Schutzmantel von Tierliebe, Vertrauen und Professionalität, und genau das macht sie so schwer durchschaubar. Denn du rechnest mit solcher Sprache vielleicht bei Werbung oder in der Politik – aber nicht dort, wo es doch um Beziehung, Verständnis und das Wohlbefinden von Tieren gehen sollte. Das macht diese Art der Sprache so perfide.

  • Der Vertrauensrahmen der Tierliebe erschwert kritisches Hinterfragen: „Wenn jemand Hunde liebt, wird er ihnen schon nichts Schlechtes tun.“
  • Die Begriffe wirken warm und einladend, z. B. „soziales Gespräch“, „klare Kommunikation“, „konsequente Führung“. Sie lösen Vertrauen aus.
  • Die eigentliche Handlung dahinter bleibt unsichtbar, wenn die Sprache sanft und weich klingt.
  • Es wird mit deinem Vertrauen und deiner Unsicherheit gespielt: „Du musst einfach klarer sein“, „Der braucht Führung“, „Zeig ihm Grenzen!“ Wer möchte schon als unsicher oder inkonsequent gelten?

Diese Sprache ist nicht zufällig so gewählt. Sie ist strategisch eingesetzt, um Überzeugung, Einfluss und auch Verkauf zu erleichtern, ganz wie in anderen Branchen auch. Nur dass es hier um Lebewesen geht.

Kein wirklicher „Fun“-Fact: Weltweit gibt es derzeit kein einziges Land, in dem der Beruf des Hundetrainers vollständig gesetzlich geregelt und als geschützte Berufsbezeichnung anerkannt ist. Sollte man jemanden, den man den besten Freund des Menschen nennt, nicht besser schützen?